Silke SchadwellTrauer ist ein Ausnahmezustand. Was bedeutet es für Trauernde, wenn nun auch um sie herum durch die Corona-Krise die Welt aus den Fugen gehoben zu werden scheint?

„Die Reaktionen können sehr unterschiedlich sein, so wie auch jede Trauer anders verläuft“, berichtet Silke Schadwell, Trauerbegleiterin im Hospiz- und Palliativ-Verein Gütersloh. „Vielen Trauernden wird in dieser Zeit schmerzlich bewusst, dass sie nun auf sich gestellt sind und diese Krise alleine durchstehen müssen. Nach dem Verlust eines geliebten Menschen mussten sie sich gerade erst an einen neuen Tagesablauf gewöhnen, den Alltag anders strukturieren, vielleicht ihr ganzes Leben neu ordnen. Sie erleben durch die Trauer starke Gefühle, die sie bisher so noch nicht hatten. Die aktuelle Situation und bereits der Gedanke an die dadurch bedingte Isolation können dazu führen, dass sich die Dinge verstärken und es noch schwerer wird, mit der Krise – der persönlichen und der äußeren – umzugehen.“

Ein Gefühl von Solidarität

Nicht auf jeden hat die Krise einen verschlimmernden Effekt. Trauernde fühlen sich oft in ihrem Schmerz allein gelassen und unverstanden. Für sie steht die Welt still, während sich der Rest scheinbar unbeeindruckt weiterdreht. „Durch diesen Punkt kann die jetzige Situation für manche Trauernde sogar ein verbindendes Moment darstellen. Auf einmal haben sie wieder etwas mit dem Rest der Welt gemeinsam. Es kann ein Gefühl von Solidarität entstehen, wenn ich weiß, zumindest in einem Punkt geht es den anderen ganz genau wie mir“, erklärt Silke Schadwell. Zurzeit sind alle Menschen in gewisser Weise Trauernde. Auch wenn es nicht mit dem Tod einer geliebten Person gleichzusetzen ist, so erleben wir gerade als Folge der Pandemie-Maßnahmen den Verlust von Freiheit, Normalität, sozialen Kontakten oder vielleicht des Arbeitsplatzes. So kann die Situation aus Sicht von trauernden Menschen eine Gemeinsamkeit darstellen.

Für alle, die überlegen, wie sie trauernde Menschen jetzt unterstützen können, gibt es verschiedene Möglichkeiten, zu zeigen: ich bin für dich da, ich umarme dich in Gedanken. Das kann Telefonieren oder Briefeschrieben sein, oder, wenn beide mit digitalen Kommunikationskanälen vertraut sind, auch ein Videoanruf oder das Zusenden von Grüßen oder einer Kerze über WhatsApp sein.

Trauernde als Krisen-Experten

Trauernde, bei denen der Verlust schon länger her ist, können sogar geradezu Krisen-Experten sein. Silke Schadwell: „Sie haben bereits schmerzlich gelernt, was es heißt, sich unfreiwillig auf neue Situationen einzustellen und mit Gefühlen umzugehen, die sich immer wieder verändern. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Gefühle irgendwann womöglich nicht mehr ganz so stark und nicht mehr jede Stunde, jeden Tag kommen. Menschen, die schon viel ‚Trauerarbeit‘ geleistet haben, haben schon gelernt, den Tag anders zu strukturieren oder sich eine Ablenkung zu suchen – Dinge, die Corona-Krise uns nun allen abverlangt.Trauer in Zeiten der Corona-Pandemie
Bei einigen ihrer Klienten erlebt die Trauerbegleiterin auch, dass sie die aktuellen kontakteinschränkenden Maßnahmen als gar nicht so starke Umstellung empfinden wie viele von uns das im Moment tun: „Wenn ich vielleicht gerade sowieso nicht viel unter Leute gegangen bin, keine Lust auf Veranstaltungen oder Treffen mit Freunden hatte, werden die Kontakteinschränkungen womöglich gar nicht als so gravierend erlebt“, so Silke Schadwell.

Warum Abschiednehmen so wichtig ist

Als problematisch sieht die studierte Sozialpädagogin, wenn es durch die einschränkenden Maßnahmen nicht möglich war, einen sterbenden Angehörigen zu begleiten und sich von ihm zu verabschieden. „Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Beginn der Trauer erschwert wird. Abschiednehmen und das Begreifen, dass jemand wirklich jetzt tot ist, erfolgt ja oft auch damit, dass man den verstorbenen Menschen noch mal sehen kann, noch mal berühren kann. Einen sterbenden Angehörigen nicht begleitet zu haben, kann auch mit Schuldgefühlen einhergehen, oder mit dem Gefühl ich habe das nicht richtig gemacht, ich bin Opfer der Umstände geworden. Darum wäre es sehr wichtig, mit dem Pflegepersonal, dem Krankenhausseelsorger oder auch mit dem Bestatter genau hinzuschauen, ob und wie eine Abschiednahme auch in diesen Zeiten möglich ist.“
Auch Trauerfeiern und Beisetzungen sind derzeit nur in sehr eingeschränkter Form möglich. Silke Schadwell rät dazu: „Wenn eine Beisetzung oder Verabschiedung zurzeit nicht so stattfinden kann, wie man es sich gewünscht hat, könnte man sich überlegen, zu einem späteren Zeitpunkt diese Zeremonie nachzuholen. Beispielsweise, indem man dann die Familie und Freunde zu einem gemeinsamen Essen oder einer kleinen Erinnerungsfeier einlädt.“

Trauergespräche per Telefon

Auch im Hospiz- und Palliativ-Verein ist Trauerbegleitung zurzeit anders als sonst. In der üblichen Form können die Trauereinzelgespräche aufgrund der Vorgaben zur Kontaktbegrenzung nicht stattfinden. „Es gibt Trauernde, für die ist es wichtig, weiter den Kontakt zu halten“, weiß Silke Schadwell. „Daher stehen wir weiterhin für Gespräche zur Verfügung – telefonisch. Das ist anders, als wenn man sich gegenübersitzt und den Menschen sehen kann oder ihm auch einfach einmal ein Taschentuch rüberreichen kann. Aber auch ein Gespräch per Telefon kann helfen, besonders bei Alleinlebenden. Wir werden für alle Trauernden, die Hilfe suchen, da sein. So halten wir weiterhin guten Kontakt und werden – sobald die Situation es zulässt – auch die Trauergespräche in der ursprünglichen Form wieder aufnehmen. Wir gehen gemeinsam durch die Krise und gestärkt auch heraus.“
Wer sich ein telefonisches Trauergespräch wünscht, kann eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen und wird zurückgerufen. Auch per E-Mail sind Anfragen möglich. Die Kontaktdaten der Trauerbegleiterinnen finden Sie hier.

Silke Schadwell und ihre Kollegin Elisabeth Schultheis-Kaiser empfehlen zudem diesen hilfreichen Link: https://www.gute-trauer.de/