Auf unserem Lebensweg begegnen uns immer wieder neue Menschen. Sie kommen, gehen, manche bleiben lange an unserer Seite. Gerade in herausfordern den Situationen wünschen wir uns meist, dass jemand ein Stück des Weges mit uns geht. Was viele nicht wissen: Auch für den letzten Abschnitt des Lebens gibt es Weggefährten: Sterbebegleiter:innen.
„Sterbe ich denn jetzt direkt?“
Evelyn Dahlke bringt als Hospizkoordinatorin hierzu geschulte Ehrenamtliche und Menschen mit Begleitungsbedarf in Kontakt. Dabei entwickeln sich oft für alle Beteiligten kostbare und besondere Begegnungen. Eine Dame, die gerade eine hospizliche Begleitung in Anspruch nimmt, ist Frau P. Sie hat eine lebensverkürzende Erkrankung. Ihr Mann hilft ihr im Alltag zu Hause, das Palliativnetz ist involviert für medizinische Belange. Was Frau P. in dieser Situation vermisste, war eine Ansprechperson für Sorgen und Nöte. Als ihre Hausärztin ihr vorschlug, sich dafür an den ambulanten Dienst des Hospizvereins zu wenden, war ihr erster Gedanke: „Sterbe ich denn jetzt direkt?“ Nein, allein vom Besuch einer hospizlichen Begleitung würde man nicht sterben, ermutigte die Hausärztin.
Das erste Gespräch mit der Hospizkoordinatorin stellte dann auch schnell heraus, was eine sogenannte „ambulante Begleitung“ ist: „Wir möchten mit unserem Begleitungsangebot Menschen unterstützen, auch zum Ende hin noch möglichst viel Lebensqualität zu haben“, so Evelyn Dahlke. „Was das bedeutet, ist immer sehr individuell – daher bringen unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen zunächst einmal Zeit für einen Besuch mit. Wie diese Zeit dann gestaltet, wird, richtet sich nach den Wünschen der oder des Begleiteten.“
„Manchmal ist es leichter, mit einer Fremden über solche Dinge zu sprechen“
Wie ist es, eine Sterbebegleiterin zu haben? Frau P. bekommt nun regelmäßig Besuch von der Sterbebegleiterin Marlies Küppers. Mit ihr kann sie Gespräche führen über alle möglichen Themen: Das sind mal ganz pragmatisch die Alltagssorgen rund um medizinische Hilfsmittel, aber auch der Kummer darüber, dass ihr Mann durch die Pflege ziemlich belastet ist. Anhand von Fotos hat sie ihrer Begleiterin, die einmal in der Woche für eine gute Stunde kommt, viel aus ihrer Lebensgeschichte erzählen können – davon, was schön, war, aber auch, was schwer war – es ist noch nicht lange her, dass Frau P.s Sohn gestorben ist. „Manchmal ist es leichter, mit einer Fremden über solche Dinge zu sprechen“, findet Frau P. Auch über Sterben und Tod kann man mit einem Sterbegleiter sprechen – muss man aber nicht! Momentan versucht Frau P. Gedanken an ihre absehbar endende Lebenszeit noch etwas zu verdrängen: „Wenn manchmal die Angst hochkommt und mir den Hals zuschnürt, wische ich sie schnell weg – mit zu viel Angst hätte ich ja nichts mehr vom Leben.“ Stattdessen genießt Frau P. ganz besonders, wenn sie mit Frau Küppers noch etwas erleben kann.
Was schwer ist oder uns Angst macht, ist leichter, wenn man nicht allein damit ist
Neulich hat sie mit ihrer Hospizbegleiterin eine Fahrt in einer Fahrradrikscha gemacht: „Ich bin früher immer so gern geradelt. Nun sind wir in der Rikscha noch einmal viele Wege gefahren, die ich früher gemacht habe, zum Beispiel, wo ich immer mit den Kindern zum Erdbeerpflücken hingegangen bin.“ Frau P. schätzt die Besuche ihrer Begleiterin sehr: „Das erleichtert mich, wenn ich ihr alles erzählen kann und es nicht einfach runterschlucken muss.“ „Solche Gespräche sind nicht immer möglich, manche Menschen können nicht mehr reden“, ergänzt Evelyn Dahlke. „Dann ist unsere Aufgabe, da zu sein, mitauszuhalten. Der Begleitete spürt, dass er nicht allein ist. Das kennen wir doch auch: Was schwer ist oder uns Angst macht, ist leichter, wenn man nicht allein damit ist. Auch darin, jemandem durch seine volle Präsenz zur Seite zu stehen, passieren tiefe Begegnungen.“
Was machen die Begegnungen mit den Begleitern?
Auch Christiane Giebeler engagiert sich als Sterbebegleiterin. Sie erlebte neulich, wie diese Tätigkeit nicht nur dem Begleiteten, sondern ihr selbst etwas gibt. Sie hat über mehrere Monate Herrn K. begleitet, der viele Jahre im Ausland lebte. Als es nun durch eine lebensverkürzende Erkrankung aufs Ende zuging, kehrte er in seine Heimatstadt Gütersloh zurück, mit dem Wunsch, in seinem Elternhaus die letzte Phase zu verbringen. Unterstützung hatte er von seinen Kindern – und von Christiane, die ihn regelmäßig besuchte: „Herr K. hatte viel zu erzählen aus einem bewegten Leben, von seiner Kindheit, der Arbeit in fremden Ländern, von seiner Familie. Im Hintergrund lief oft Klaviermusik: Schumann, Chopin, Mozart. So kamen wir auch über Musik ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass Herr K. Klaviermusik liebte. Ich verriet ihm, dass ich schon lange da ran dachte, auch Klavierspielen zu lernen. Mein Vater war Organist, aber für mich selbst hatte es sich nicht ergeben, und ich hatte es mir in meinem Alter irgendwann nicht mehr zugetraut. Da sagte Herr K.: „Machen Sie das! Dazu ist man nie zu alt!“
Ein Wink des Schicksals?
Am gleichen Abend sah ich im Whatsapp-Status meines Neffen die Meldung: ‚e-Piano abzugeben‘. Ein Wink des Schicksals? Ich habe keine Sekunde gezögert und ihn an gerufen, dass ich es nehmen möchte. Kurz darauf stand es bei mir zu Hause. Und seit 5 Wochen habe ich Klavierunterricht und kann erste Stücke spielen. Inzwischen ist Herr K. verstorben. Sein Sohn hat mir die Nachricht geschickt, im Anhang dazu ein Musikstück, das Herrn K viel bedeutete. Mein Ziel ist es nun, dieses Stück spielen zu können. Beim Üben denke ich so manches Mal an Herrn K.: an seine bewegte Lebensgeschichte und sein Vertrauen, diese mit mir zu teilen, seine Offenheit und Menschenliebe, die immer durchschien. Und daran, welche Spur er bei mir, einer quasi Fremden, hinterlassen hat, indem er mich ermutigte, meinen Traum vom Klavierspiel wahr zu machen. Begegnungen wie diese machen mich so dankbar für ein Ehrenamt, in dem man viel geben kann, aber manchmal gefühlt mindestens genau so viel zurückbekommt.“