Über das Sterben reden

Sommer und Sonne: Die Natur strotz jetzt vor Leben und fordert uns auf, rauszugehen, mit anderen zusammen zu sein, das Leben zu spüren und zu genießen. Das tut gut. Aber auch die sonnige Zeit hat ihre Schattenseiten. Noch mehr als im düsteren November scheinen Themen wie Sterben und Trauer nun nicht mehr zum allgemeinen Aufblühen zu passen. So empfinden manchmal trauernde, leidende Menschen gerade jetzt einen scharfen Kontrast zwischen dem Blau des Himmels und dem Grau auf der Seele – und für ihre Trauer weniger Raum in der Außenwelt. Diese scheint zu signalisieren: Wie kann man jetzt traurig sein, wo es doch so viel Schönes gibt? Wer mag jetzt hören, wenn jemand von Leid und Traurigkeit spricht?

Nie der richtige Zeitpunkt?

Sterben und Trauer sind generell in unserer Gesellschaft keine Themen, über die viel und unbefangen gesprochen wird – ganz im Gegenteil: oft sind sie ein Tabu. So wie wir den Frühling genießen möchten, würde man das am liebsten auch möglichst geschmeidig und glatt mit dem ganzen Leben tun. Aber wann ist die Zeit, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen? Und warum ist es überhaupt so schwer, darüber zu sprechen oder Gehör dafür zu finden? Wie können wir besser mit Menschen umgehen, die krank sind, sterben oder trauern? Und wie kann es vielleicht sogar das Leben bereichern, sich mit der Vergänglichkeit auseinanderzusetzen?

Auf der Suche nach Antworten haben wir mit Beate Dirkschnieder gesprochen, die sich aus ganz verschiedenen Perspektiven seit vielen Jahrzehnten mit Fragen wie diesen auseinandersetzt. Die 65-jährige Diplom-Sozialarbeiterin hat lange in einem stationären Hospiz gearbeitet, ist Trauerbegleiterin, ethische Beraterin im Gesundheitsbereich, Lehrbeauftragte an der FH Bielefeld, Dozentin im Bereich Palliative Care, Kursleiterin an der Sukhavati Akademie und Ausbilderin im Rigpa Spiritual Care Programm.Beate Dirkschnieder

„Wir leben in einer Welt, die Veränderungen nicht gut findet“

Die ersten Begegnungen mit dem Tod hatte Beate Dirkschnieder allerdings schon in ihrer Kindheit, als Sterben noch in den Familien erlebt wurde. Ihre Großmutter zeigte ihr zu Lebzeiten ganz selbstverständlich und als etwas Schönes ihr Totenhemd, das neben der Alltagskleidung im Schrank hing. Früher sei Sterben und Tod präsenter gewesen, berichtet sie: „Tote wurden zu Hause aufgebahrt und es war selbstverständlich, dass auch die Kinder in das Zimmer zu dem Verstorbenen gingen und der Tod so im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar wurde.“ Heute, wo die Mehrzahl im Krankenhaus stirbt, hat das Thema etwas Fremdes bekommen, das nicht mehr Teil unseres Alltags ist. „Das macht es den Menschen heute schwerer, damit umzugehen. Ich sehe es daher beispielsweise als meine Aufgabe als Großmutter an, meinen Enkeln zu vermitteln, wie man diese Welt gut verlassen kann.“

In Beate Dirkschnieders Kindheit waren viele Familien tief in der katholischen Kirche verwurzelt. Das führte dazu, dass es Rituale gab, die jeder kannte und dass jeder wusste was wann zu tun war – eine sichere Struktur, die heutzutage nicht mehr oft in dieser Form gelebt wird. „Wir leben in einer Welt, die Veränderung als etwas Negatives empfindet“, erklärt Beate Dirkschnieder die Angst vieler vor der Auseinandersetzung mit Tod und Trauer. „Die Menschen wollen, dass die Dinge so bleiben wie sie sind. Das kenne ich auch von mir selbst. Es gibt solche Tage, an denen ich denke, so soll es jetzt bleiben. Sich dann bewusst zu machen, dass das vergänglich ist, ist vielleicht nicht so schön, könnte aber dazu führen, dass man diese Zeit mehr genießt, bewusster erlebt.“

Buddhistisch betrachtet: Das Leid gehört zum Leben dazu

Beate Dirkschnieder beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Buddhimus. Auch hieraus eröffnet sich eine interessante Perspektive auf die Frage nach einem guten Umgang mit schweren Zeiten. In der buddhistischen Lehre gehört das Leid zum Leben in dieser Welt dazu. Oder anders ausgedrückt: Erst durch das Leid und die Auseinandersetzung damit schätzen wir auch die kostbare Gabe unseres Lebens. Beate Dirkschnieder: „Man macht sich bewusst, dass Leiden zum Leben gehört. Befreiung vom Leiden erlangen wir, indem wir es akzeptieren und Ursachen erkennen, die Leid erzeugen, zum Beispiel die Vergänglichkeit nicht zu akzeptieren, negative Emotionen, Ablenkung. Sich damit auseinanderzusetzen, bringt uns Themen wie Tod und Sterben näher. Das macht es nicht unbedingt immer leichter. Aber es geht auch mehr darum, Achtsamkeit zu entwickeln und wirklich im hier und jetzt präsent und wach zu sein.“ Sie zieht dazu einen schönen bildlichen Vergleich: „Die Fragen ‚Was ist guter Tod?‘ und ‚Was ist gutes Leben?‘ sind zwei Seiten von ein und derselben Medaille.“

„Man kann Trauer nicht wegspiritualisieren“

Das Leid als Teil des Lebens zu akzeptieren heißt auch, den Schmerz der Trauernden zuzulassen: „Man kann Trauer nicht wegspiritualisieren“, so Beate Dirkschnieder. „Mitgefühl ist da gefragt, also emotional mitschwingen zu können. Menschen brauchen Zeit, um den Verstorbenen neu in ihr Leben zu integrieren. Trauerarbeit ist eigentlich Integrationsarbeit und hat nichts mit Loslassen zu tun. Menschen, die bedeutend waren für unser Leben, sind ja nicht einfach so weg. Der amerikanische Autor John Brantner hat gesagt: ‚Trauer ist der Preis der Liebe.‘ Aber man muss lernen, durch die Liebe verwundbar zu bleiben und sich dem Leben neu zu öffnen.“

Ein natürlicher Kreislauf von Entstehen, Werden und Wiedervergehen

Die zwei Seiten, die unauflösbar zusammengehören, sieht Beate Dirkschnieder auch in der Natur gespiegelt: „Ist es nicht wie ein Wunder, dass im Frühling alles wieder hervorkommt, wo doch im Herbst alles abgestorben war? Ein natürlicher Kreislauf von Entstehen, Werden und Wiedervergehen.“ Wenn wir uns bewusst machen, das Sterben und Leben, Leid und Freude, Gesundheit und Krankheit zusammengehören wie Licht und Schatten, können wir in diesem Wechselspiel leichter mitschwingen im Leben und allem, was dazugehört, den notwendigen Raum geben. Dann müssen wir auch keine Angst mehr haben, darüber zu sprechen.