Patientenverfügung Menschen mit geistiger Behinderung

„Welcher studierte Politiker hat sich diesen komplizierten Satz ausgedacht?“ fragt ein Teilnehmer eines Seminars zum Thema Patientenverfügung im Hospiz- und Palliativ-Verein Gütersloh. Es geht um die detaillierte Situationsbeschreibung zur Hirnschädigung. Bewusst ist hier sehr genau und differenziert beschrieben, für welchen Zustand eine Patientenverfügung gelten soll. Den verschachtelten Satz hat zwar kein Politiker verfasst, aber zugegeben: Er ist allein mit gesundem Menschenverstand nicht leicht zu erfassen und bedarf für den medizinischen und juristischen Laien einiger Erklärung. Es hat durchaus seinen Grund, dass die Beschreibung so unglaublich komplex ist. Je präziser eine Patientenverfügung die Situationen beschreibt, in denen das Dokument zum Einsatz kommen soll, desto größer ist die Chance, dass der hier dokumentierte Wille im Falle eines Falles auch zweifelsfrei erkannt und umgesetzt werden kann.

Wann ist eine Patientenverfügung rechtsgültig?

Dazu müssen zunächst einmal die wesentlichen Voraussetzungen erfüllt sein, damit eine Patientenverfügung rechtsgültig ist: der Verfasser muss volljährig sein und die Verfügung muss in Schriftform vorliegen. Zudem wird vorausgesetzt, dass jemand zum Zeitpunkt der Unterschrift einwilligungsfähig ist. Das bedeutet im medizinrechtlichen Sinne, dass jemand die Erklärung zu einer ärztlichen Maßnahme versteht und sich auch über deren Konsequenzen bewusst ist. Daran führt kein Weg vorbei – denn eine Patientenverfügung kann nur für sich selbst verfasst werden und beispielsweise nicht von einem Betreuer aufgesetzt werden.

Wenn nun der Text im Patientenverfügungsformular aufgrund der Komplexität des Themas schon für die Allgemeinheit schwer zu verstehen ist, wie ergeht es dann erst Menschen mit geistigen Einschränkungen? Können sie grundsätzlich eine rechtsgültige Patientenverfügung verfassen? Welche Möglichkeiten gibt es, wenn jemand tatsächlich nicht einwilligungsfähig ist? Und wer stellt das überhaupt fest?
Zur letzten Frage zuerst. Wenn Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit bestehen, ist es hilfreich, einen Arzt hinzuziehen. Attestiert ein Mediziner durch seinen Stempel auf dem unterschriebenen Dokument die Einwilligungsfähigkeit, wird diese zu einem späteren Zeitpunkt selten zu einem Diskussionspunkt. Ein Mensch mit einer leichten geistigen Beeinträchtigung kann möglicherweise mit Unterstützung in der Lage sein, eine gültige Patientenverfügung zu verfassen. In der Praxis braucht man viel Zeit, um in nicht eindeutigen Fällen die Einwilligungsfähigkeit festzustellen. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob jemand beim Erstellen einer Patientenverfügung die Tragweite seiner Entscheidungen tatsächlich erfassen kann. Dann macht es durchaus Sinn, das Dokument nach ein paar Tagen erneut und wiederholt gemeinsam durchzugehen. Wenn beispielsweise dann jedes Mal andere Antworten kommen, ist das eines von mehreren möglichen Indizien, dass hier vielleicht keine Einwilligungsfähigkeit vorliegt“, erläutert der Palliativmediziner und Hausarzt Dr. Herbert Kaiser.

Dennoch kann und muss man nun Wege finden, die Werte und Wünsche für Entscheidungen in Situationen am Lebensende herauszufinden. In Artikel 12 der UN Behindertenrechtskonvention ist das Recht auf Unterstützung verbrieft – hier geht also darum, andere Möglichkeiten zu finden, dass jemand etwas im Rahmen seiner Möglichkeiten verstehen kann, sich dazu äußern kann und für sich entscheiden kann. Wie können wir diese Unterstützung geben?

Patientenverfügung in Leichter und Einfacher Sprache

Je nach Schwere der Beeinträchtigung gibt es Hilfsmittel zur Kommunikation, um sich begleitet dem Thema Patientenverfügung zu nähern. Bei kognitiven Beeinträchtigungen und Leseschwierigkeiten kann man Formulare in Leichter oder Einfacher Sprache nutzen. Die Leichte Sprache ist eine eigene Form des Deutschen mit einem festen Regelwerk, das auf Erkenntnissen aus der Verständnisforschung beruht. Sie zeichnet sich unter anderem durch sehr kurze Sätze, das Vermeiden des Genitivs und von Fremdwörtern und eine barrierefreie optische Gestaltung aus. Ein Leichte Sprache-Text wird in der Regel durch Experten aus der Zielgruppe (Menschen mit kognitiver Einschränkung und Lernschwierigkeiten) auf Verständlichkeit geprüft. Einen etwas größeren Wortschatz setzt das Konzept Einfache Sprache voraus, das sich als niedrigschwelliges Angebot für Menschen versteht, die Schwierigkeiten haben, komplexe Texte zu lesen. Sie ist, wie der Name schon sagt, wesentlich einfacher als „Alltagssprache“ und basiert auf Empfehlungen zur besseren Verständlichkeit. Zum Thema Patientenverfügung gibt es inzwischen erste Hilfs-Materialien, wie beispielsweise die Patientenverfügung in Leichter Sprache des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Saarland. In Einfacher Sprache haben unter anderem die Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel und der Verein Bonn Lighthouse Broschüren herausgegeben, mit denen man arbeiten kann. Leichte und Einfache Sprache leisten einen sehr wertvollen Beitrag, Zugang zu Informationen und Teilhabe zu ermöglichen.
Texte in Leichter oder Einfacher Sprache bieten einen guten Einstieg, um sich dem Thema anzunähern und darüber ins Gespräch zu kommen. Doch legt man die Texte neben eines der üblichen Formulare und vergleicht, wird deutlich, dass man dabei gut aufpassen muss.

Möglichkeiten und Grenzen

Exemplarisch haben wir uns in einem der Materialien die Beschreibung einer Hirnschädigung, also einer Situation, in der die Verfügung gelten soll, in Leichter Sprache angeschaut: So eingängig und verständlich sie ist, so extrem verkürzt und undifferenziert ist sie aber auch im Vergleich. Hier stellt sich die Frage: Als wie verbindlich wird ein Arzt eine Patientenverfügung in Leichter Sprache ansehen? Wenn bereits alltagssprachliche Verfügungen immer wieder zu Auslegungsdiskussionen führen, wie sehr ist dann die fehlende Differenzierung hier in der Situationsbeschreibung ein vorprogrammiertes Problem? Das Vereinfachen und Verkürzen bei der Übersetzung in Leichte Sprache darf des Weiteren auch nicht zum Weglassen von Informationen führen. Dennoch fehlt in einer von uns genauer angeschauten Leichte Sprache-Variante bei der Beschreibung der Maßnahmen zur Schmerz- und Symptomkontrolle komplett ein Aspekt: dass die Medikamente das Bewusstsein trüben können, ist nicht erklärt.

Was heißt das nun für die Hilfsmittel? Zum einen, dass das Konzept Leichte Sprache / Einfache Sprache (zum Glück) auf dem Weg ist, die Übersetzungen aber vielleicht noch genauer werden könnten. Zum anderen bedeutet es, dass ein Formular in Leichter oder Einfacher Sprache theoretisch zwar zu einer rechtsgültigen Patientenverfügung führen kann, in vielen Fällen aber eher dann besonders nützlich sein wird, wenn es darum geht, den mutmaßlichen Willen eines Menschen zu ermitteln.

Der mutmaßliche Wille – das, was ein Mensch gewollt hätte, wenn er sich äußern könnte – wird immer dann zur Entscheidungsgrundlage für oder gegen medizinische Maßnahmen, wenn es keine oder keine gültige Patientenverfügung gibt. Je nach Grad der Beeinträchtigung wird das Herausfinden des mutmaßlichen Willens bei Menschen mit geistiger Behinderung eine große Rolle spielen. Dazu bieten Materialien in Leichter und Einfacher Sprache eine sehr gute Hilfestellung, um zumindest in Ansätzen das Thema zu erklären und die Positionen des Betroffenen dazu herauszufinden.

Im gewissenhaften Erarbeiten des mutmaßlichen Willens drückt sich die Achtung vor der Selbstbestimmtheit und den persönlichen Wünschen eines jeden Menschen aus

Wenn auch Leichte und Einfache Sprache keinen Zugang zum mutmaßlichen Willen bietet, gibt es immer noch Möglichkeiten. Dann geht es nicht konkret um die Erklärung medizinischer Maßnahmen, sondern um Ableitungen aus dem Alltag, aus denen man Schlüsse bezüglich der Wünsche und Werte eines Menschen ziehen kann. Biographische Arbeit kann Aufschluss geben, sowie das Sammeln von Informationen zu Fragen wie welche Erfahrung jemand bereits mit Tod und Sterben hat, wie jemand generell mit Schmerzen umgeht, was einem Menschen guttut und wovor er Angst hat. Bis hin zum genauen Hinschauen und Einfühlen über einen langen Zeitraum bei Menschen, die bereits schwerstbehindert geboren wurden und so keine Möglichkeit hatten, ein eigenes Wertesystem auszubilden. Dann liegt es bei ihren Angehörigen oder Betreuern, zum Wohle des Patienten zu entscheiden.

Den mutmaßlichen Willen zu bestimmen kann dann wie ein Puzzle aus vielen kleinen Hinweisen sein. Das Ergebnis wird vielleicht keine rechtsgültige Patientenverfügung sein, doch im gewissenhaften Erarbeiten des mutmaßlichen Willens drückt sich die Achtung vor der Selbstbestimmtheit und den persönlichen Wünschen eines jeden Menschen aus.