Selbstfürsorge

„Wie hältst du das nur aus?“ Dieser Frage begegnen Menschen, die im hospizlichen Bereich arbeiten und sich engagieren, oft. Zumeist haben sie sich bewusst das Tätigkeitsfeld ‚Lebensende‘ ausgesucht, und das wohl eher nicht aus materiellen, sondern häufig aus ideellen Gründen und dem Wunsch, sinnvoll dort zu wirken, wo Werte wie Würde und Humanität zählen. Und dennoch, oder gerade deswegen, geht die tägliche Beschäftigung mit existentiellen Situationen nicht spurlos an ihnen vorüber.

Was braucht man, um mit den Belastungen von Leid und Tod auf Dauer umzugehen? Eine Studie dazu hat festgestellt, dass es vor allem diese drei Schutzfaktoren sind, die Mitarbeitende im palliativen Bereich tragen: Ein gut funktionierendes Team, in dem man sich austauschen kann, Rückhalt in der Familie oder im sozialen Umfeld und Humor. Als Pflegedienstleiterin im Hospiz kann Renate Leisner gerade die Bedeutung des Teams bestätigen: „Wir stärken uns gegenseitig. Dazu ist wichtig, gut miteinander im Gespräch zu bleiben und immer ansprechbar zu sein. Ist jemand besonders belastet, eventuell auch durch eine private Situation, versuchen wir beispielsweise, flexibel in den Dienstplänen zu sein und springen gegenseitig füreinander ein. Stärkend wirkt sich auf das Team auch aus, immer wieder kleine Aktionen zusammen zu machen.“

Ressourcen trainieren und aktivieren

Eine weitere Ressource, die man trainieren und in schweren Zeiten nutzen kann, ist Selbstfürsorge. Selbstfürsorge bedeutet, sich selbst und seine Bedürfnisse wahrzunehmen, ernst zu nehmen und aktiv für das eigene Wohlergehen zu sorgen. Gerade in der Hospiz- und Palliativarbeit kommt dem eine wichtige Bedeutung zu: „Hier findet Beziehung statt, und Beziehung ist immer auch etwas Wechselseitiges: ich gebe etwas, und ich bekomme etwas. Das kann ich allerdings nur annehmen, wenn ich so für mich sorge, dass da auch Raum ist, etwas anzunehmen“, erklärt Elisabeth Schultheis-Kaiser, Koordinatorin, Trauerbegleiterin und Psychologin im Hospiz- und Palliativ-Verein Gütersloh.
Ressourcen, um mit Belastungen umzugehen, brauchen hier nicht nur Haupt- und Ehrenamtliche. Auch Angehörige von Sterbenden und Trauernde erleben eine große Krise, in der auf Wunsch psychosozial ausgebildete Fachkräfte wie Frau Schultheis-Kaiser zur Seite stehen. Sie berichtet: „Oft muss man Menschen erst auf das Thema Selbstfürsorge hinweisen. Über die Frage ‚Was tun Sie für sich selbst, was tut Ihnen gut?‘ müssen viele erst einmal nachdenken. Das, was dann genannt wird, sind oft genau die Dinge, die in Stresssituationen als erstes hintenangestellt werden. Beispielsweise, wenn jemandem im Alltag der wöchentliche Aquafitnesstermin guttut, ist dieser dennoch das erste, was bei Stress gestrichen wird. Dabei wäre er gerade dann so wichtig!“ Vielleicht ein Resultat unserer Erziehung: Viele haben gelernt ‚erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen‘. Zunächst kümmert man sich um Berufliches, dann um die Familie, den Haushalt – und dann bleibt am Ende doch keine Zeit für sich selbst übrig. „Hier hilft mir persönlich ein Satz aus der Bibel“, erzählt Elisabeth Schultheis-Kaiser: „Da steht ‚Liebe deinen Nächsten‘ – und jetzt kommt der wichtige, oft vergessene Teil – ‚wie dich selbst.‘ Das hat nichts mit Selbstsucht zu tun. Wer für andere da sein möchte, muss auch mit sich im Reinen sein.“

Struktur hilft in Krisen

In akuten Belastungssituationen müsse man individuell schauen, was jemand braucht, so die Psychologin. Der eine wühlt am liebsten in der Erde im Garten, dem anderen tut es gut, seine Geschichte mit jemandem zu teilen. „Es ist für viele sehr erleichternd, mit jemandem zu sprechen, der nicht betroffen ist“, so Schultheis-Kaiser. „In Krisen hilft Struktur. Meine Aufgabe ist es dabei, den anderen anzuhören und ein Angebot zu machen, das Gehörte von außen etwas zu sortieren. Dann schauen wir gemeinsam, was jetzt guttut, wer vielleicht unterstützen kann, was jetzt am Wichtigsten ist und was vielleicht noch zurückgestellt werden kann.“
Zur Selbstfürsorge gehört auch, sich Dinge erlauben zu dürfen und eigene Bedürfnisse und Grenzen ernst zu nehmen. Angehörige von Sterbenden ringen häufig mit Fragen wie ‚Darf ich jemanden abgeben, den ich lange selbst gepflegt habe, weil ich nicht mehr kann? Mache ich mich damit schuldig?‘ Elisabeth Schultheis-Kaiser: „Hier braucht es Entlastung statt Selbstbezichtigung. Oft ist ein Rat, den ich gebe: Sie können hier im Hospiz jederzeit anrufen und sich nach dem Zustand Ihres Angehörigen erkundigen, aber bleiben Sie doch einfach mal einen Tag zu Hause. Und Sie wissen, Ihr Angehöriger ist trotzdem gut versorgt. Das ist kein Egoismus – es ist manchmal überlebensnotwendig.“