Witwen und Waisen

„Ledig, verheiratet, verwitwet“ – der Familienstand wird in so manchem Formular klar und zum Ankreuzen unterschieden. Er ändert sich somit ganz offiziell, wenn der Ehepartner stirbt. Der oder die Hinterbliebene wird zu Witwe oder Witwer. Bereits im 8. Jahrhundert kannte man für eine Ehefrau, die ihren Mann verloren hat, den Begriff „Widua“. Darin steckt die Bedeutung „des oder der Geliebten beraubt“ nach dem lateinischen Ursprung „viduus“. Wer um einen Ehepartner trauert, hat somit eine offizielle Rolle, der Verlust hat einen Namen. Auch Kinder, die ihre Eltern verlieren, werden in ihrem Familienstand einer neuen Kategorie zugeordnet: sie sind Waisen. Zumeist meinen wir damit tatsächlich Kinder und Jugendliche – aber wären nicht auch erwachsene Menschen, die mit vierzig, fünfzig oder älter ihre Eltern verlieren, Waisen?

Verwaiste Eltern: immer noch Eltern

Wesentlich später erst entstand ein Begriff für Eltern, deren Kind gestorben ist. 1905 vertonte Gustav Mahler die „Kindertodtenlieder“ des Dichters Friedrich Rückert. In einem Lied heißt es: „…da saßen wir nun, verwaiste Eltern.“ Als in den 70er Jahren die deutsche Übersetzung des Buchs „The bereaved parent“ von Harriet S. Schiff erschien, prägte es hierzulande mit dem Titel „Verwaiste Eltern“ auch bei uns noch einmal diese Bezeichnung. Hier wird deutlich, wie wichtig es nicht nur ist, etwas überhaupt zu benennen, sondern auch, wie wir es ausdrücken: Auch ein Paar, dessen Kind stirbt, bleibt Eltern, auf besondere Art und Weise.

Ein Name für den Verlust

Ein offizieller Begriff für den Status des Trauernden kann sprachlich klar machen, dass hier ein Verlust zu tragen ist und eine veränderte Rolle eingenommen werden muss.
Nun gibt es aber auch „Trauerkonstellationen“, für die es keinen offiziellen Namen gibt. Wie nennt man eine Schwester, die um ihren toten Bruder trauert? Die manchmal verwendete Konstruktion „verwaiste Geschwister“ ist aus der Bezeichnungslosigkeit entstanden und streng genommen nicht korrekt, da sich formal und ursprünglich das Wort „Waise“ auf ein Eltern-Kind-Verhältnis bezieht. Und wie wäre der Begriff für einen Enkel, dessen Großmutter gestorben ist? Ist man auch Witwer, wenn man nicht verheiratet, sondern „nur“ verliebt war? In der deutschen Sprache fehlt für manche Trauer-Konstellationen einfach ein Begriff. Und das, obwohl die Trauer, der Verlust doch existiert. Verdient sie dann nicht eigentlich auch ein Wort für den Status des Trauernden?