Von der Auswahl der Kleidung oder des abendlichen Fernsehfilms bis hin zu Partnerwahl und Hauskauf: Wir sind es im Alltag gewohnt, Dinge selbst und frei zu entscheiden. Wohl kaum jemand käme auf die Idee, sich hier fremdbestimmen zu lassen. Wenn es um das Lebensende geht, sieht es anders aus. Mehr als die Hälfte der Erwachsenen hierzulande überlässt medizinische Entscheidungen am Lebensende anderen: Ohne eine Patientenverfügung müssen für den Fall, dass man keine eigenen Entscheidungen mehr treffen oder äußern kann, andere über Leben, Sterben und den Einsatz oder das Unterlassen medizinischer Maßnahmen entscheiden.

Wie schnell man – in jedem Alter – in eine solche Situation kommen kann, weiß Physiotherapeut Sven Ilgenstein aus Gütersloh. In seinem Berufsalltag trifft er nicht etwa nur auf Menschen mit Rückenproblemen oder Sportler in der Rehabilitation, sondern auch auf Patienten, bei denen beispielsweise nicht klar ist, ob und wie sie aus dem Koma erwachen werden. „Gerade wenn ich Patienten behandele, die noch gar nicht mal so alt sind, aber durch einen Unfall oder eine Krankheit in eine lebensbedrohliche Situation mit unklarer Perspektive gekommen sind, dann wird mir bewusst: Das ist alles vielleicht doch gar nicht so weit weg. Es kann mich auch selbst erwischen“, so der 47-Jährige. Er hat schon länger im Kopf, eine Patientenverfügung aufzusetzen.

Sven Ilgenstein

„Aber wie das so ist – man schiebt es vor sich her“. Angst macht ihm das Thema nicht, höchstens ein komisches Gefühl, sich dabei so intensiv mit lebenswichtigen Entscheidungen auseinanderzusetzen. „Vielleicht ist es dann aber auch irgendwie beruhigend, wenn man weiß, es ist so gut wie möglich geklärt“, fügt er hinzu.

Ilka Malik

Die Gütersloherin Ilka Malik hält eine Patientenverfügung besonders aus ihrer Sicht als Angehörige für wichtig. „Ich finde sehr gut, dass meine Mutter so ein Dokument hat. Wir hoffen natürlich, dass wir nicht in die Situation kommen. Aber wenn der Fall eintritt, weiß ich zumindest dann hoffentlich, was meine Mutter sich wünscht“, so die 46-jährige Kundenmanagerin. „Dadurch, dass meine Mutter und ich die Patientenverfügung gemeinsam besprochen haben, haben wir tatsächlich mal über ein Thema geredet, das man sonst ja gern meidet. Sie hat sich intensiv mit allen Fragen zu Entscheidungen am Lebensende auseinandergesetzt – so bin ich mir recht sicher, wirklich ihren Willen vertreten zu können. Das ist auch eine große Verantwortung.“

Ilka Malik und ihre Mutter haben die Patientenverfügung um eine Vorsorgevollmacht ergänzt. Damit ist nun schriftlich und rechtsverbindlich festgehalten, dass die Angehörige in einer Situation, in der die Patientenverfügung greift, berechtigt ist, im Namen der Mutter Entscheidungen unter anderem über medizinische Maßnahmen zu treffen.

Sven Gehle ist erst 23 – hat aber bereits seit fünf Jahren eine Patientenverfügung. Zunächst folgte der Student damit einfach dem Rat seiner Mutter Brigitte Gehle, die als Leiterin des stationären Hospizes in Gütersloh quasi beruflich mit dem Thema zu tun hat. „Aber dann ist mir in den letzten Jahren bewusst geworden, wie wichtig und richtig es ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Insbesondere Ereignisse in meinem Umfeld haben mir gezeigt, wie notwendig es ist, seine Wünsche und Vorstellungen bezüglich der eigenen Behandlung und Versorgung zum Beispiel im Falle eines Unfalls oder einer Erkrankung durchdacht und niedergeschrieben zu haben. Auch wenn ich hoffe, dass es nicht dazu kommen wird, fühle ich mich dank meiner Verfügung sicher, dass in einem Notfall nicht gegen meinen Willen gehandelt wird.“

Damals sei er zunächst ganz unvoreingenommen darangegangen, eine Verfügung zu erstellen, erzählt Sven Gehle. „Doch bei der Erstellung wurde mir erst bewusst, welche Bedeutung meine Entscheidungen für konkrete Situationen hätten – was das Entscheiden nicht einfacher macht! Deshalb war und ist es mir wichtig, diese Entscheidungen immer auf dem aktuellen Stand zu halten.“

Brigitte Gehle

Auch Sven Gehles Mutter Brigitte (57) hat eine Patientenverfügung – „Doch selbst bei mir als ‚Profi‘ aus dem Gesundheitsbereich hat es einige Zeit gedauert, bis ich sie wirklich aufgesetzt habe“, sagt sie. „Aber es war mir einfach wichtig. Ich halte mich für einen im Leben sehr selbstbestimmten Menschen. Wenn ich jetzt für mein Leben entscheide, dann möchte ich das doch auch für die Zeit, wenn ich einmal gehen muss. Auch will ich meinen Angehörigen nicht aufbürden, dass sie Entscheidungen treffen müssen, ohne meinen Willen zu kennen.“ Aus ihrer Berufserfahrung weiß Brigitte Gehle, dass dieser Teil oft falsch eingeschätzt wird. Viele denken irrtümlich, die Angehörigen werden schon wissen, was man gewollt hätte.

„Daher ist gerade beim Verfassen einer Patientenverfügung das Gespräch so wichtig.“ Die Hospizleiterin berichtet: „Wenn jemand als Gast ins Hospiz geht, ist das quasi schon wie ein Teil einer Willensbekundung, nun lebensverlängernde Maßnahmen einzustellen. Doch immer gibt es noch offene Fragen, wie zum Beispiel, ob jemand in bestimmten Situationen noch essen und trinken möchte. So mancher ist dann nicht mehr in der Lage, hierzu seinen Willen zu bilden oder zu äußern. Dann ist es gut, wenn es eine Patientenverfügung gibt: sie macht es manchmal etwas leichter in einer schweren Zeit.“

Eine möglichst konkrete und durchsetzbare Patientenverfügung zu erstellen, ist für viele Menschen eine schwierige Aufgabe.
Der Hospiz- und Palliativ-Verein Gütersloh bietet daher nicht nur jeden Mittwoch (nach Terminvereinbarung) Beratungsstunden dazu an, sondern in regelmäßigen Abständen auch das Seminar „Wie erstelle ich eine Patientenverfügung“. Hier werden ausführlich die Grundlagen von Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung diskutiert und Anregungen gegeben, die eigene Haltung zu Gesundheit, Krankheit, Leben und Sterben zu reflektieren.

Das nächste Seminar findet am Samstag, den 26.09.2020, statt. Infos dazu finden Sie hier.