„Ich mach noch schnell Frau Jäger in der Sieben fertig.“ „Morgen legen wir Herrn Müller um.“ Kommen Ihnen Sätze wie diese aus dem medizinischen Alltag bekannt vor? Was machen diese Formulierungen mit Ihnen? Die Bilder, die bei genauerer Betrachtung vermutlich in Ihrem Kopf entstehen, entsprechen sicher nicht dem, was eine Pflegekraft wirklich ausdrücken will, wenn sie ihren Beruf einmal aus Liebe zum Menschen begonnen hat. Es ist keine Ansprache, bei der sich ein Patient wohl und sicher fühlen wird.

Wenn wir uns beim Sprechen einmal genauer beobachten, wird deutlich: Sehr oft stimmt die Form, wie wir etwas sagen, nicht mit der Botschaft überein, die wir meinen. Änderungen in der Art, wie wir sprechen, können gerade im sehr fordernden Bereich der Pflege und der Begleitung kranker oder sterbender Menschen die täglichen Begegnungen und Bedingungen deutlich angenehmer machen – das sagt die Sprachwissenschaftlerin Mechthild von Scheurl-Defersdorf aus eigener Erfahrung und langjähriger Beschäftigung mit dem Thema.

Kleine Änderung – große Wirkung

Wie so oft im Leben führte ein persönliches Schicksal sie auf die Spur zu den von ihr inzwischen in zahlreichen Büchern und Seminaren vermittelten Erkenntnissen. Gemeinsam mit dem Arzt und Neurowissenschaftler Theodor von Stockert entwickelte sie vor über 20 Jahren das Sprach- und Kommunikationskonzept ‚LINGVA ETERNA‘. „Man hatte mir in einer schweren Lebenssituation geraten, mein Denken zu ändern. In einem Mentaltraining zur bewussten Gedankenkontrolle beobachtete ich, dass dies nur bei einem geringen Teil der Teilnehmenden griff. Ich erkannte, dass diejenigen, die das Training erfolgreich umsetzen konnten, ihre Sprache anders nutzten. Die Struktur ihrer Sprache schien eine neue Struktur ihres Denkens zu befördern. Mir wurde klar: Wortschatz, Grammatik und Satzbau transportieren eine eigene Botschaft. Wenn ich diese in Einklang mit der gemeinten inhaltlichen Botschaft bringe, mache ich mir und anderen die Kommunikation wesentlich leichter. Bereits kleine Änderungen wirken sich unmittelbar positiv auf die eigene Haltung und die Entwicklung der Persönlichkeit aus.“
Wie wir etwas sagen, verändert unsere Beziehung zum anderen – und uns selbst
Was das konkret heißt, erarbeitet die erfahrene Kommunikationstrainerin auch und gerade mit Menschen aus dem medizinisch-pflegerischen Bereich. Anhand des Eingangsbeispiels zeigt sie das Potential auf, das sich entfaltet, wenn wir Inhalt und Form des Gesagten in Einklang bringen: „Wenn Sie ‚Ich mach noch schnell Frau Jäger fertig‘ sagen, ist das transportierte Bild sicherlich nicht konform mit dem, was Sie meinen. Probieren Sie es doch einmal aus: ‚Ich bin jetzt bei Frau Jäger. Ich helfe ihr beim Anziehen. In 5 Minuten werde ich für dich Zeit haben.‘ In der Regel wissen wir, was wir eigentlich sagen wollen, aber es ist uns oft nicht bewusst, wie wir es sagen.“
Es sind scheinbare Kleinigkeiten, die einen großen Unterschied machen: „Vergleichen Sie einmal diese beiden Sätze, mit denen man aus einem Patientenzimmer gehen kann“, regt Frau von Scheurl-Defersdorf an: „‚Ich schaue später wieder vorbei‘, oder ‚Ich werde später wieder zu Ihnen kommen.‘ Spüren Sie die Verbindlichkeit, das Gesehenwerden im zweiten Satz? Wenn ich klar bin und widersprüchliche Grammatik vermeide, ist das wohltuend für alle. ‚Zu Ihnen kommen‘ löst ein ganz anderes Bild aus als (an jemandem) ‚vorbeischauen‘. Vorbeischauen ist doch traurig! Die Menschen können klaren Aussagen vertrauen. Sie empfinden Ihre Aufrichtigkeit. Der zweite Satz ist auch deswegen so viel zugewandter und wertschätzender, weil er eine Zukunft verspricht (‚werde‘), und er das Gegenüber direkt anspricht (‚zu Ihnen‘). Achten Sie auch gern einmal darauf, wie oft Sie Wörter wie ‚schnell‘ und ‚muss‘ verwenden. Wer diese Wörter reduziert, vermindert Druck und Stress.“ In Beispielen wie diesen scheint durch, welches Potential Sprache hat: die Art, wie wir etwas sagen, macht etwas mit unserer Beziehung zum anderen – und auch zu uns selbst: Sprache formt unser Denken.

Erleichterung im pflegerischen Alltag

Zu schön, um wahr zu sein? Mechthild von Scheurl-Defersdorf weiß um den Alltag in Pflegeberufen und die daraus vielleicht zunächst resultierende Skepsis, sich neben den herausfordernden Rahmenbedingungen nun ‚auch noch‘ mit Sprache zu beschäftigen. Doch die Praxis zeigt, dass der Einsatz einer bewussten und stimmigen Kommunikation vom ersten Moment an Entlastung und mehr Freude an der Arbeit bringt: „Neulich berichtete eine Nachtschwester, die das LINGVA ETERNA Kommunikationskonzept ausprobiert, dass ihre Kolleginnen darunter litten, dass eine Patientin bis zu siebzehn Mal in der Nacht schellte. Bei ihr seien es maximal drei Mal pro Schicht, und auch immer aus gutem Grund. Als wir die Sprache analysierten und verglichen, wurde die Ursache des Unterschieds deutlich. Die Nachtschwester vermittelte in ihrer klaren und verbindlichen Kommunikation der Patientin Sicherheit, Vertrauen und Wertschätzung, so dass keine Notwendigkeit zu weiterem Klingeln zur ständigen Rückversicherung bestand. Durch die Änderungen im Sprechen brauche ich also eher weniger Zeit, es ist kein zusätzlicher Aufwand,“ so Mechthild von Scheurl-Defersdorf. Nahezu jede pflegerische Handlung kann durch den Einsatz einer bewussten Kommunikation bereichert werden. So empfehle es sich zum Beispiel, beim Waschen zu sagen: ‚Ich wasche nun Ihre Schulter mit einem warmen Waschlappen.‘ Das sei quasi basale Stimulation auf sprachlicher Ebene.

Die Wirkung beginnt sofort

In ihren Seminaren lädt Mechthild von Scheurl-Defersdorf zum Entdecken der Kraft der Sprache und einer Chance zu Entlastung und Entwicklung ein. Sie arbeitet dazu mit konkreten Situationen aus Berufs- und Privatleben der Teilnehmer:innen. Der Effekt zeigt sich oft umgehend, so die Trainerin: „Die leichte Umsetzbarkeit und die unmittelbar spürbare Wirkung machen Lust und Mut, es auch im Alltag weiter auszuprobieren.“
Sie ermutigt, im bewussten Umgang mit Sprache eine eigene Sprechweise zu finden, die dem Sprechenden selbst guttut und das Gegenüber heilsam berührt: „Sprache entfaltet erst dann ihre volle Kraft, wenn wir sie nicht nur denken, sondern auch fühlen. Ich wünsche allen, die pflegen, dass sie die Erfahrung machen dürfen, welches Potential die Sprache hat, und dass sie so als Impulsgeber in ihrem Umfeld wirken können. In der Sprache liegt ein Schatz, der darauf wartet, entdeckt zu werden.“

Zum Weiterlesen und Ausprobieren:

Seminar in Gütersloh:
‚Jedes Wort wirkt – die Kraft der Sprache in der Pflege‘, 25./26.4.23, Anmeldung hier
Bücher:
‚Wir sind füreinander da: Bewusste Sprache in der Pflege‘
‚Ein lautes Ja zum Leben sagen! – Zufrieden werden mit bewusster Sprache‘
Kartensätze:
‚Die Kraft der Sprache – 40 Karten für die Sprache im Pflegebereich‘
‚Die Kraft der Sprache – 80 Karten für den täglichen Sprachgebrauch‘

Fotos: LINGVA ETERNA